Was ist Selbstorganisiertes Lernen (SOL)?
SOL ist kein geschützter Begriff, sondern ein Unterrichtsverständnis. Diesem liegt ein Lernverständnis zugrunde, welches im Unterricht in unterschiedlichen Ausprägungen einfliesst. Das Lernverständnis, auf welchem auch das Lernkonzept der OS Kerzers aufbaut, geht von der Tatsache aus, dass das Gehirn immer lernt und nichts lieber tut als das. Diese Erkenntnis der Neurowissenschaft sollen und wollen wir uns auch in der Schule zu Nutzen machen.
Demnach findet natürliches Lernen immer dann statt, wenn ein Defizit ausgeglichen werden muss. Ein Defizit gibt dem Gehirn sozusagen einen Grund, eine Motivation zum Lernen. In der Schule hingegen macht Lernen fürs Hirn nicht immer Sinn, denn die Lern-Ziele in der Schule sind fremde Ziele und nicht die Ziele des Hirns jedes Jugendlichen. Eine erste Herausforderung für die Schule: Das Gehirn lernt nämlich nicht das, was der Lehrer lehrt, sondern das, was es lernen will.
SOL bildet hier die Brücke zwischen natürlichem und institutionalisiertem Lernen, wie es in der Schule geschieht.
Wie findet Lernen überhaupt statt?
In einem Lernprozess werden Informationen über elektrische Impulse von einer Nervenzelle zur anderen weitergleitet. Dies geschieht über die sogenannten Synapsen. Das sind Schaltstellen zwischen zwei Neuronen (Nervenzellen) und die verändern sich, wenn sie häufiger genutzt werden. Wenn sich ganz viele Synapsen verändern, entsteht im Gehirn eine Art Gebrauchsspur, ein Muster oder eine Routine – wir nennen sie auch Komfortzone.
Das Verändern einer solchen Spur nennt sich Lernen. Der Lernprozess einer beliebigen Personengruppe verläuft unmöglich synchron, denn beim Lernen knüpft das Gehirn immer an unser Vorwissen an. Dies verdeutlicht die Geschichte vom Fisch und vom Frosch eindrücklich:
Geschichte vom Fisch und dem Frosch Der Frosch und der Fisch wachsen zusammen in einem Teich auf. Der Frosch wird grösser bekommt Beinchen und da sagt der Fisch zu ihm: « Geh doch mal raus auf die Wiese und sieh mal nach, was es da alles so gibt». Der Frosch geht raus und trifft dort eine Kuh. Er schaut sich die Kuh genau an. Sie hat Beine, ist schwarz-weiß, frisst Gras und hat Hörner und ein Euter. Er geht zurück in den Teich und erklärt seinem Freund Fisch, was er da gesehen hat. Der Fisch hört zunächst ungläubig zu und sagt: «Ich kann mir nicht vorstellen, was du da gesehen hast. Frosch wiederhole das noch mal und dann ganz plötzlich sagt er: «Ich glaube, jetzt weiss ich, was du gesehen hast.» Und er beschreibt seinem Freund Frosch eine Fischkuh.
Und wozu braucht es eigentlich die Lehrperson?
Wenn das Gehirn neu denken, Handlungsmuster durchbrechen, aus dem Gewohnten und Bekannten – aus der Komfortzone – austreten soll, braucht es Motivation und Anstrengungsenergie. Ja, Lernen ist mit Anstrengung verbunden. Und da die Motivation im schulischen Lernen nicht immer in der Sache selbst liegt, brauchen Kinder & Jugendliche Lernbegleiter:innen, die dafür sorgen, dass sie die Anstrengungsenergie aufbringen können und der Lernprozess gelingen kann.
Dies gelingt besonders gut, wenn die Lernbegleiter:innen beachten, dass Lernen keine Reaktion auf Lehren, sondern ein aktiver Prozess des Gehirns ist. Dieses lernt also nicht, was der Lehrer lehren will, sondern was es selber lernen will. Eine Herausforderung für die Schule mit der logischen Folge, dass die Lehrperson den Schüler:innen Teile der Lernverantwortung zurückgeben muss. Dabei verändert sich die Rolle der Lehrperson. Sie begleitet die Schüler:innen etwa dabei, die Fischkühe zu entdecken. Dabei fragt sie im Lernprozess nicht mehr «Hast du das verstanden?», sondern: «Was hast du verstanden?».
Aber auch die Schüler:innen müssen den Umgang mit dieser Verantwortung erst lernen. Sie müssen vorgängig zur Selbstorganisation befähigt werden. Wird die Verantwortung zu früh oder zu stark übergeben, entsteht ein Vakuum und die Lernsituation wird für beide Seiten unbefriedigend. Den richtigen Moment und das richtige Mass an Verantwortungsübergabe herauszufinden, bedarf einer sorgfältigen und individuellen Lernbegleitung.